Serlachius und Mänttä: eine gemeinsame Geschichte

28.06.2024

Das heutige Mänttä war im 19. Jahrhundert ein abgeschiedenes Fleckchen Erde mitten im Wald − und ist es im Grunde genommen immer noch. Aber für die damals im Entstehen begriffene Zellstoffindustrie war hier alles Nötige vorhanden: Stromschnellen (sprich Energie), Holz (sprich Rohmaterial), und Arbeitskräfte. Aus diesem Grund kam Gustaf Adolf Serlachius aus Tampere, der eigentlich von Beruf Apotheker war, im Jahr 1868 auf die Idee, sich in Mänttä niederzulassen und eine Holzschleiferei zu gründen. Diese wuchs zu einem Großbetrieb heran, der noch von drei weiteren Generationen der Familie Serlachius geführt wurde. 

Das um den Fabrikbetrieb herum wachsende Mänttä war in seiner Blütezeit die zweitreichste Gemeinde Finnlands − ein Eldorado mit aktivem Gemeinschaftsleben. Sogar ausländischen Staatsgästen wurden die Serlachius-Werke und Mänttä als Musterbeispiel der finnischen Wohlfahrtsgesellschaft präsentiert. Doch die Zeiten änderten sich, und durch die 1986 erfolgte Fusion mit dem Papierkonzern Metsä Tissue Oyj verlor das ehemalige Familienunternehmen Serlachius Oy seinen Namen. Die seit den 1960er Jahren existierende Hausmarke Serla wird jedoch weiterhin in Mänttä produziert und ist in Finnland ein fester Begriff für hochwertiges Toiletten-, Küchen- und Backpapier sowie für ultraweiche Papiertaschentücher. 

Der erste Industriebaron von Mänttä, Gründer G. A. Serlachius, liebte die Kunst. Als Mäzen unterstützte er einheimische Künstler wie den oft als Finnlands Nationalmaler bezeichneten Akseli Gallen-Kallela, von dem einige Werke im Gutshaus zu bewundern sind.

Nach dem Tod G. A. Serlachius wurde der Betrieb von dessen Neffen Gösta übernommen, der ebenfalls ein aktiver Kunstsammler war. Er gründete die nach ihm benannte Stiftung, der die Serlachius Museen gehören. Ihre Sammlung umfasst mehr als 13 000 katalogisierte Werke. Der ältere Teil der Villa, die heute der Serlachius Gutshof beherbergt, wurde 1935 als Wohnhaus für Göstas Familie erbaut. Seit 1984 wird der gesamte Gutshof als Museum genutzt. 

Das Schwestermuseum Serlachius Hauptkontor befindet sich im Zentrum von Mänttä. Es wurde 2003 in der ehemaligen Firmenzentrale eröffnet. Das repräsentative Gebäude entstand 1934, ebenfalls unter strenger Aufsicht von Gösta Serlachius. 

Heute ist Mänttä-Vilppula als Kunststadt bekannt. Ihren Ruhm verdankt sie nicht nur den Serlachius Museen, sondern auch u.a. den allsommerlichen Kunstwochen und dem Musikfestival, bei dem klassische Klavierwerke im Mittelpunkt stehen. 

Serlachius-museo Gösta sisäänkäynti.

DER ANBAU – MEISTERWERK DER MODERNEN HOLZARCHITEKTUR

Der Anbau des Gutshofs wurde 2014 fertiggestellt. Ihm ging ein Architekturwettbewerb voraus, der mit 579 Beiträgen aus aller Welt der bis dahin größte in der Geschichte Finnlands war. Der siegreiche Entwurf stammte von Héctor Mendoza, Mara Partida und Boris Bezan, einem Architektentrio aus Barcelona. Das Gebäude hat mehrere nationale und internationale Auszeichnungen für seine faszinierende Architektur und innovative Holzbauweise erhalten. 

Die Brettschichtholzbalken der tragenden Konstruktion wurden fast vollständig in Handarbeit hergestellt. Die Fassade ist ein Wechselspiel aus Glas und feingesägtem Fichtenholz. Letzteres ist eine historische Referenz: Die Fichten der Wälder von Mänttä lieferten den Hauptrohstoff der lokalen Holzindustrie und das Ausgangsmaterial für die in der Papierfabrik produzierte Zellulose. 

Auch die Brücke, die vom Park aus auf die Insel führt, wurde vom selben Architektenteam entworfen. 

Serlachius Art Sauna from the lakeside. Photo: Sampo Linkoneva

SERLACHIUS KUNSTSAUNA

Die einzigartige Kunstsauna stammt ebenso wie der Anbau des Gutshofs aus der Feder des Architektentrios Héctor Mendoza, Mara Partida und Boris Bezan. Gestalterische Grundidee ist die horizontale Unterteilung zwischen den dominierenden Baumaterialien Holz und Stein. Die Sauna befindet sich im unteren Bereich des Gebäudes, das sich dezent in die umgebende Seenlandschaft einschmiegt und diese in seinen großen Fenstern einladend reflektiert. 

Die Innenräume formen eine Symbiose aus Kunst, Landschaft und Architektur. Sie sind mit finnischem und internationalem Design eingerichtet, das interessante Berührungspunkte bietet – konkret und figurativ. Der Weg durch das Gebäude führt durch eine Sinfonie von Licht, Natur und Kunst ans Ziel: in die geräumige, kreisrunde Sauna. 

Öffentliche Saunazeiten werden mindestens einmal wöchentlich angeboten. 

AUSGEWÄHLTE WERKE – SERLACHIUS GUTSHOF

Erdgeschoss

Claude Monet, Heinäsuova ilta-auringossa, 1891, öljyväri kankaalle, Gösta Serlachiuksen taidesäätiö. Kuva: Rauno Träskelin.

Claude Monet 
Getreideschober in der Abendsonne
1891 

Das Ölgemälde Getreideschober in der Abendsonne von Claude Monet (auch als Heuhaufen in der Abendsonne bekannt) zählt zu den Perlen der Sammlung der Gösta Serlachius Kunststiftung und ist eine faszinierende Studie der kontinuierlich variierenden Eigenschaften von Licht und Schatten. Die Provenienz des Werks wurde wegen seiner fehlenden Signatur gelegentlich in Zweifel gezogen, bis das Recenart-Instituts der Universität Jyväskylä 2015 das Bild mit modernsten Verfahren untersuchte und seine Echtheit bestätigte. Seine Farbpigmente sind identisch mit den in den übrigen Gemälden der berühmten Getreideschober-Serie (Les Meules) verwendeten, und rechts unten ließ sich unter der deckenden Farbschicht die Signatur „Claude Monet 1891“ ausmachen.

Asiakkaat Serlachius-museoissa

Lennart Segerstråle 
Die Geburt der Literatur
1935 

Das Deckenfresko der Bibliothek des Gutshofs trägt den Namen Die Geburt der Literatur. Es wurde von Lennart Segerstråle im Frühjahr 1935 auf den trockenen Putz gemalt (al secco).In seiner Mitte sitzt die symbolische Figur eines Schriftstellers auf der Erde, im Schoß ein unbeschriebenes Blatt Papier. Über ihm schwebt die Göttin der Inspiration, die Flamme des Genies in der Hand. Die Menschen zur Rechten des Schriftstellers – Mann, Frau und Kind – symbolisieren das Glück, links von ihm hingegen sind die Schattenseiten des Lebens dargestellt. Die Figur im Vordergrund symbolisiert eine zerbrochene Illusion. Den seitlichen Rahmen bilden Realität und Vorstellungskraft: am nördlichen Ende wird zu Ehren der Bemühungen von Gösta Serlachius um die industrielle Entwicklung Mänttäs der Grundstein einer Fabrik gelegt, am südlichen lassen Fantasiedarstellungen an Reisen in den Süden denken.

Jusepe de Ribera, Mies, viinipullo ja tamburiini

Jusepe de Ribera
Mann, Weinflasche und Tamburin 
1631 

Die Gösta Serlachius Kunststiftung besitzt eine bedeutende Sammlung älterer europäischer Kunst. Ein prägnantes Beispiel für die Blütezeit der spanischen Malerei im 16. und 17. Jahrhundert ist Mann, Weinflasche und Tamburin von Jusepe de Ribera (1591–1652). Das Gemälde zeigt nicht einfach nur ein Fest, sondern eine Allegorie der Sinne – das Tamburin verweist auf Musik und Gehör, der Wein auf den Geschmackssinn. Riberas Mentor war Caravaggio, der Meister des italienischen Barocks. Sein starker Einfluss kommt auch in diesem Werk zum Ausdruck, unter anderem in den starken Kontrasten zwischen Licht und Schatten.

Anselm Kiefer, Väinämöinen Ilmarinen, 2018, emulsio, öljyväri, akryyliväri, sellakka, köysi ja lyijy kankaalle, 280 x 380 cm, copyright: Ⓒ Anselm Kiefer.

Anselm Kiefer 
Väinämöinen Ilmarinen 
2018 

Der deutsche Maler und Bildhauer Anselm Kiefer (geb.  1945) zählt zu den bedeutendsten Künstlern unserer Zeit. Das sowohl vom Thema als auch vom Format her monumentale Gemälde Väinämöinen Ilmarinen ist inspiriert von Finnlands Nationalepos Kalevala und eine Hommage an die finnische Mythologie, deren ganzheitliches Weltbild und -verständnis Kiefer seit Jahrzehnen fasziniert. Väinämöinen – Seher, Bootsbauer und zentrale Gestalt des Epos – ist als Unterseeboot dargestellt, Himmelsschmied Ilmarinen als Flugzeug. 

Obergeschoss

Im Obergeschoss des Gutshauses sind Finnlands große Klassiker ausgestellt. Besonders aufmerksam gemacht sei auf die vielschichtigen Darstellungen der finnischen Landschaft und des Alltagslebens. Ein großer Teil dieser Werke entstand Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, im sogenannten goldenen Zeitalter der finnischen Kunst. Sie spielte eine zentrale Rolle bei der Herausbildung einer eigenen nationalen Identität, die schließlich den Weg zu Finnlands Unabhängigkeit bereitete. Die bekanntesten Maler dieser Periode waren Akseli Gallen-Kallela, Pekka Halonen, Albert Edelfelt und Hugo Simberg.

Asiakas Serlachius Kartanolla. Kuva: Touko Hujanen
Touko Hujanen

Helene Schjerfbecks Porträts 

Im Besitz der Gösta Serlachius Kunststiftung befindet sich eine umfangreiche Sammlung von Werken der international vermutlich bekanntesten Künstlerin Finnlands, Helene Schjerfbeck (1862–1946). Sie machte sich schon in den Anfangsjahren ihrer Karriere ein zu jener Zeit ungewöhnliches Thema zu eigen: den weiblichen Blick auf den Mann. Typisch war die umgekehrte Version − die Frau aus Sicht des Mannes, bevorzugt nackt. In ihren Männerporträts interpretierte Schjerfbeck ihre Modelle unbefangen, geradeheraus und ohne Rücksicht auf steife Normen. In den 1920er Jahren entwickelte die Künstlerin einen modernistischen, einheitlichen und formreduzierten Porträtstil. Die Modelle umgibt eine Aura von Stille und Seelenfrieden.

Akseli Gallen-Kallela
Porträt des Komponisten Gustav Mahler

Der österreichische Komponist Gustav Mahler (1860–1911) besuchte im Herbst 1907 Helsinki und traf dabei nicht nur seinen Kollegen Jean Sibelius, sondern auch Akseli Gallen-Kallela, den er bereits 1904 in Wien kennengelernt hatte. Das Porträt entstand bei einem Bootsausflug von Helsinki nach Kirkkonummi im Atelier von Hvitträsk, dem Landhaus der Architekten Eliel Saarinen und Herman Gesellius und ihrer Familien. Es ist das einzige bekannte Porträt, für das Mahler persönlich posierte, offensichtlich in tiefe Gedanken versunken. Seine unmittelbare Eindringlichkeit wird durch die freigelassenen Bereiche der Leinwand zusätzlich unterstrichen.

Akseli Gallen-Kallela, Probleemi (Symposion), 1894, Gösta Serlachiuksen taidesäätiö.

Akseli Gallen-Kallela 
Problem (Symposion) 
1894 

Akseli Gallen-Kallela (1865–1931) ist einer der bedeutendsten Künstler Finnlands und besonders für seine Darstellungen des Volkslebens sowie für dem Nationalepos Kalevala entliehene Motive bekannt. Der erste Industriebaron von Mänttä, G. A. Serlachius, unterstützte den jungen Gallen-Kallela als Mäzen. Gösta Serlachius war gut mit ihm befreundet und kaufte viele seiner Werke. 

Das heute ikonischen Status genießende Problem (Symposion) sorgte seinerzeit für einen Skandal, da es sich bei den betrunkenen Herrschaften um die Elite der finnischen Kulturszene handelte: die Komponisten Jean Sibelius, Robert Kajanus und Oskar Merikanto sowie den Maler selbst. Der Fuß am linken Rand gehörte ursprünglich einer gehäuteten Frauenfigur, die jedoch entfernt wurde. In einer Privatsammlung existiert eine alternative Version, in der sie durch ein großes Flügelpaar ersetzt wurde. Angesichts der Verweise auf die Sphinx, den Planeten Jupiter und das diesem zustrebende Geistwesen kann dieses Werk Gallen-Kallelas symbolischer Phase zugerechnet werden.

Serlachius-museo Gösta viinikellari

WEINKELLER

Als Privatresidenz des Fabrikanten Gösta Serlachius hatte der Gutshof natürlich auch einen Weinkeller. Seine Glasmalereien und die in Seccotechnik gemalten Fresken wurden 1936 von der erst 16-jährigen Irina Bäcksbacka geschaffen. Bei dem Lautenspieler an der Wand zwischen den Glasbildern handelt es sich um den schwedischen Komponisten Carl Michael Bellman, bekannt als Meister der nordischen Trinkliedertradition. Ihm gegenüber wacht Bacchus über dem Kamin. Der altschwedische Text „Dyrkom vinets Gud“ bedeutet so viel wie „Lasst uns dem Gott des Weines huldigen“. Der jungen Künstlerin gelang es, die drei wichtigsten Themen der Lieder Bellmans treffend auf den Punkt zu bringen: Wein, Weib und Gesang. Möbel, Türen und Kamin stammen aus der Werkstatt des für seine volksnahen und humoristischen Darstellungen bekannten finnischen Bildhauers und Holzschnitzers Hannes Autere. Die Eichentüren illustrieren den Weg des Branntweins von der Destillation über den Konsum bis zu dessen Folgen. Auf den Rückenlehnen der Holzbänke sind ausgelassene Gelageszenen zu finden.

Heikki Marila, seinämaalaus Mänttä, 2015, akryyli, Gösta Serlachiuksen taidesäätiö.

WANDBILD DES RESTAURANTS

Heikki Marila 
Mänttä 
2015 

Die Wand des Restaurants Gösta ziert ein großformatiges Acrylgemälde von Heikki Marila, das aus dem Jahr 2015 stammt und den Stadtplan von Mänttä zeigt. Der Künstler ist mit der Positionierung des Werks sehr zufrieden, da es nicht nur für die Restaurantgäste zu sehen ist, sondern auch von oben her durch die Glaswand und nach Einbruch der Dunkelheit von außen her durchs Fenster. Heikki Marila ist bekannt für großflächige expressionistische Werke, die von intensiven, dick aufgetragenen Farben dominiert werden. Ihre Motive reichen von Landkarten über Blumen bis zu sakralen Themen.

Harry Kivijärvi, Calderin muistolle, 1976–79, dioriitti, korkeus 102 cm, Gösta Serlachiuksen taidesäätiö, Kivijärvi-kokoelma. Kuva: Sampo Linkoneva

SKULPTUREN VON HARRY KIVIJÄRVI

Der für seine abstrakten, dunklen Steinskulpturen bekannte Harry Kivijärvi war nach dem zweiten Weltkrieg als Vertreter der jungen Generation einer der wichtigsten Erneuerer der finnischen Bildhauerei. Im Zusammenhang mit dem Ausbau des Gutshofs wurden mehrere seiner Werke in dessen Park sowie natürlich im nach ihm benannten Kivijärvi-Saal aufgestellt. Harry Kivijärvis Lieblingsmaterialien waren Granit, Diorit und Marmor, da diese mit fast allen Umgebungen harmonieren. Ein weiteres Markenzeichen ist das serielle Element, das auch den im Park ausgestellten Skulpturen gemeinsam ist.

SKULPTUREN VON HANNES AUTERE
Serlachius Gutshof und Café Autere

Der finnische Bildhauer Hannes Autere (1888–1967) wurde von der Firma Serlachius mit festem Monatslohn eingestellt, nachdem er 30 Holzskulpturen für die Kirche von Mänttä geschnitzt hatte. Die Außentüren und Fensterbänke des Gutshauses und die Schnitzereien im Weinkeller sind repräsentativ für seinen Stil und den vielen seiner Werke inhärenten Gedanken natürlicher Kreisläufe: beispielsweise die in den Reliefs der Eichentür des Haupteingangs dargestellten Lebensphasen des Menschen vom Säugling zum Greis oder metaphorische Figuren, die den Wandel der Jahreszeiten verkörpern. Die Türen des Weinkellers zeigen, wie Branntwein destilliert und genossen wird − und was dabei herauskommt. Das Blockhaus im Park des Gutshofs beherbergt das nach dem Künstler benannte Sommercafé Autere. Die von Autere geschnitzten Verandapfeiler zeigen Szenen aus dem finnischen Alltagsleben der Vergangenheit. Auch die Möbel des Cafés stammen aus seinem Atelier.